Sonntag, 2. April 2006

3,8km dichter am Himmel

Geschrieben am 17. September 2005 in La Paz (Bolivien):

Auf 3800m Höhe ist irgendetwas anders. Sicher, die Luft ist dünner, Sonnenbrand bekommt man auch wenn es regnet oder wie vorgestern schneit, aber das, was mich die veränderte Höhenlage nie vergessen lässt, sind die Wolken. Beinahe scheint es, als würde mir der Himmel auf den Kopf fallen oder als müsste ich ihn einziehen, um mich nicht an Cumulus, Cirrus & Co. zu stoßen, wie man gut auf dem Foto erkennen kann, das mich an der Grabstätte in Sillustani zeigt. Wolken im Allgemeinen und im Speziellen, fristen hier ein eher unsicheres Dasein. Der lokalen Wetterlage am Titicacsee ist beispielsweise nicht einen Zentimeter über den Weg zu trauen. So können vierstündige Bootsfahrten auf dem See schnell kälter und bewegter werden als erwartet: als beflissener Tourist wählte man bei strahlendem Sonnenschein das Sitzplätzchen auf dem Häuschen des Böötchens und war seines Lebens froh, bis der Wind urplötzlich eisig über den See fegte und damit das Böötchen zu einem wilden Tänzchen herausforderte. Andere Böötchen (nein, das waren eher Kähnchen, deren Bilder ich lieber unveröffentlicht lasse), die die Busse - getrennt von den Passagieren - über eine Seeenge zweier Halbinseln transportieren, fahren bei einem größeren Aufgebot an Wolken und Wind überhaupt nicht, sodass etwaige Reisende nach La Paz notgedrungen eine Nacht in Copacabana/BOLIVIEN(!!) verbringen müssen.
Ebenfalls unbestritten uneuropäisch ist die wunderbare Tatsache, dass keine Busfahrt, keine Wartezeit, kein Café-Besuch und kein Marktbummel ohne einen kleinen Schnack vergeht. Ich treffe auf eine Siebenjährige, die mich sehr charmant beim Kartenspielen beschummelt, auf einen bolivianischen Arzt, der in Belgien studiert hat und schon seit Jahrzehnten in Chicago praktiziert, auf einen Schuhputzerjungen, der Englisch in der Schule gelernt hat, auf eine Marktfrau, die mich fragt, wie viel ich für die Fahrt von Puno nach La Paz bezahlt hätte und als sie die Antwort hört (8,30 Dollar), durch die Zähne pfeift. Als ich ihr wahrheitsgemäß beantworte, was der Flug von Deutschland nach Peru gekostet hat (fast 1000 Dollar), schweigt sie, während ich weiter meine Portion Obstsalat löffele, die ich ihr für 10 Cent abgekauft habe. Ich treffe in der Kirche einer Kleinstadt eine zahnlose Alte, die mich küsst, als ich ihr eine kleine Münze schenke. Ich treffe auf der Plaza Mayor derselben Stadt einen religiösen Spinner, der mir erzählt, Jesus wohne in Frankreich, auf eine alte Dame, die mir stolz erzählt, dass sie einen deutschen Archäologen kennt und in Cuzco treffe ich auf eine indígena, die dezent auf die katholische Kirche schimpft, während sie Touristen die Kunstwerke der Kathedrale erklärt.

Für meinesgleichen ist das Leben am anderen Ende der Welt, kurz unter dem Himmel, herrlich!