Dienstag, 2. Juni 2009

Jung oder Politiker

Geschrieben am 7. Mai 2009 in Hamburg (Deutschland):

Franz Müntefering, Krista Sager, Niels Annen, Johannes Kahrs – welcher 27jährige Politiker kann schon von sich behaupten mit diesen Größen in Verbindung gebracht zu werden? Die Antwort: Danial Ilkhanipour. Yes, he can!


Hamburg-Eimsbüttel – Ein roter SPD-Sonnenschirm droht immer wieder im Wind umzukippen, daneben surrt ein Glücksrad. Sparkurs bei den Gewinnen: Bonbons, Einkaufswagenchips und Kugelschreiber. Das Scheppern von umgeworfenen Blechdosen, Bratwurstschwaden und das Lärmen einer mittelmäßigen Band schlagen eine Schneise ins hanseatische Schmuddelwetter. Nur für einen bedeutet das sonntägliche Straßenfest-Getümmel nicht Partylaune, sondern „Feindesland“, wie er sagt.
In Bundfaltenhose und Oberhemd versucht Danial Ilkhanipour Broschüren unter das Wahlvolk zu bringen: „Guten Tag, ich bin Direktkandidat der SPD für Eimsbüttel!“


Die Menschen reagieren neugierig auf den Kandidaten mit dem sonderbaren Namen. „Feindesland“ ist nicht in Sicht. Die See geht ruhig und der ehemalige Juso-Landesvorsitzende segelt versiert durch Inhalte. Finanzkrise, Radwege, Bildung… Doch da! Sturm zieht auf. „Ich nehme den Flyer nicht! Ich bin ein Annen-Fan!“, pöbelt ein Besucher lautstark.
Feindesland ahoi, denn von „Yes, we can!“ ist die SPD in Eimsbüttel weit entfernt. Rund um das Glücksrad schleudern sich Jusos taxierende Blicke wie Blitze entgegen. Die Stimmung ist deutlich unterkühlt und im Nachhinein möchte nicht mehr jeder Genosse namentlich erwähnt oder zitiert werden. Nach außen ist man um Einigkeit bemüht.


Grund der Spannungen: Danial Ilkhanipour wird vorgeworfen, die Direktkandidatur für die Bundestagswahl 2009 aufgrund unkorrekten Verhaltens im Vorfeld der Wahl gewonnen zu haben. Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises, soll ihn dabei unterstützt haben. Damit wird Ilkhanipours Gegner Niels Annen, stellvertretender Sprecher der Parlamentarischen Linken, in der nächsten Legislaturperiode nicht im Bundestag vertreten sein. Die Wellen schlagen hoch, denn Hamburg-Eimsbüttel ist nicht irgendein Wahlkreis. Viele Prominente und Künstler wohnen hier und die Direktkandidatin der Grünen heißt Krista Sager. Zeitweise mischte sich daher auch Franz Müntefering in die Eimsbütteler Flügelkämpfe ein.
„Gestern“, berichtet Ilkhanipour bei einer Pause unter dem SPD-Sonnenschirm „haben meine politischen Gegner sogar ein Fernseh-Team vom Satiremagazin ‚Extra3’ hierher bestellt und einen riesigen Klamauk veranstaltet, um mir zu schaden“.
Eine schwierige Gemengelage für einen jungen Politiker, der quasi über Nacht ins kalte Haifischbecken geworfen wurde. Doch das Alter findet bei dem Sohn einer iranischen Einwandererfamilie nur auf dem Papier statt. Ilkhanipour zeigt sich nicht impulsiv und spontan, sondern besonnen, aufmerksam und geduldig. Dabei wirkt er hölzern.
„Fehler kann ich mir nicht mehr erlauben“, reflektiert er. Immer alles unter Kontrolle. 110%. Die perfekte Wahlkampfshow perfektioniert der Jurist durch gekonnte Koketterie mit menschlichen Schwächen. „Achtung! Der Kandidat ernährt sich ungesund“, witzelt Ilkhanipour beim Kauf eines Burgers und erntet einen Lacher.
Eine politische Etage tiefer hat der Druck die Natürlichkeit noch nicht gefressen. Tobias Claßen (23) ist FDP-Direktkandidat für die schleswig-holsteinische Landtagswahl im Mai 2010. Doch jetzt ist Europawahl und Wahlkampf für den Politikstudenten dreckige Handarbeit.

Dutzende von Aufstellern hat er zusammen mit seinem Bruder in einer verschlafenen Siedlung seines Wahlkreises plakatiert und plaudert dabei locker über Diätpläne: „So dick wie jetzt kann ich nicht auf mein eigenes Wahlplakat!“.
Und auch der 25jährige CDU-Bezirksabgeordnete Dennis Thering erzählt ungezwungen vom Politikgeschäft: „Am schwierigsten war es, sich innerparteilich Mehrheiten zu beschaffen, ohne dass es andere merken. Bei einem Bierchen zum Beispiel“.
Nach einer halben Stunde hat Danial Ilkhanipour seinen Burger noch nicht einmal halb gegessen. Er kommt nicht dazu. „Ich weiß gar nicht, wann der noch schläft“, sagt ein langjähriger Parteifreund. Die Wahlkampfmaschine steht nie still und in einem System aus Medien, Macht und Ränkespielen hat ein 27jähriger seine Jugendlichkeit für eine professionelle Fassade verraten. So einen wie Obama kann es wohl nur einmal geben.