Mittwoch, 26. April 2006

Fast die Arche

Geschrieben am 24. April 2006 in Santiago (Chile):

Dieser Eintrag ist eine kleine Reminiszenz an all die Tiere, die ich mich aufmachte zu sehen und nicht sah und eine kleine nachträgliche Rechtfertigung für die Mühen, die ich dafür auf mich nahm. Stellvertretend für die Schwänzer des Touristenprogramms, zeige ich hier einige Bilder derjenigen Tiere, die sich - mal mehr, mal weniger pflichtbewusst - für ein Foto zur Verfügung hielten.

Von so seltenen und manchmal auch gleichzeitig scheuen oder gar nachtaktiven Gesellen, wie den Maras, einer putzigen Mischung aus Reh und Hase, den Pudús, dem kleinsten Wild der Welt, dem fast ausgestorbenen Huemul oder dem berüchtigten Puma, will ich ja gar nicht erst anfangen. Die folgenden Geschichten gelten derjenigen Fauna, die „normalerweise“ zu sehen ist, doch das Glück ihr zu begegnen mir einfach nicht vergönnt war.

Die erste Erfahrung dieser Art ereignete sich im bolivianischen Dschungel. Höhepunkt der organisierten dreitägigen Tour durch die dichte Pampa zwischen den zahlreichen Seitenarmen des Amazonas sollte, sie sein, die Anakonda! Sie ist eine der größten Würgeschlangen der Welt und kann bis zu neun Meter lang und 150 Kilo schwer werden. Ihre Beute, Säugetiere und Vögel, erdrückt oder zerquetscht sie mit ihrem Körperchen so zu appetitlichen Häppchen. Sie zu finden zogen wir also begleitet von einem bolivianischen Führer los. Über 30 Grad, strömender Regen und eine nicht allzu atmungsaktive Regenbekleidung machten den über zweistündigen Marsch durch mannshohes Gras, überschwemmte Wiesen und Sumpflandschaften nicht weniger abenteuerlich. Irgendwann, schon unzählige Male hätte ich meine Gummistiefel um ein Haar nicht mehr aus dem Morast ziehen können, erreichten wir eine Lagune, die die ultimative Heimstätte der Anakonda sein sollte. Schon auf dem Weg stach unser Guide mit seinem riesigen Wanderstock eifrig in die üppige Vegetation, um Anakonda aufzustöbern. Aber, so erklärte er uns, bei Regen verkröche sie sich. Dennoch ließ er uns am Ufer der Lagune zurück und verschwand mitsamt seiner Kleidung in selbiger, um Anakoda abzuholen. Wir warteten und warteten, eine halbe Stunde verstrich, eine Stunde wurde voll und wir warteten. Langsam begann ich mich ein wenig zu langweilen und verließ unseren Rastplatz, um zur Abwechslung einen Blick hinter die Büsche, die uns umgaben, zu werfen. Doch was mich dort erwartete ließ mir den Atem stocken: Alligatorhäute und –gerippe, daneben eine menschliche Hose und Schuhe. Alligatorfrühstück? Menschenfrühstück? Aus einer gewissen Distanz vom Boot aus, konnte ich mit unseren sauropsiden Freunden ja ganz gut, aber so unmittelbar… und was, wenn jetzt einer direkt vor mir auftauchen würde? Das wäre mir ganz sicher nicht recht gewesen! Rasch setzte ich die anderen über meinen Fund in Kenntnis und eine gewisse Aufregung befiehl unsere ansonsten sehr entspannte, kleine Reisegruppe. Und wo blieb überhaupt der Guide? Mittlerweile waren schon zwei Stunden ohne ein Zeichen von ihm oder der Anakonda verstrichen. Tendenzen zur Meuterei zeigten sich; der Portugiese wollte den Rückweg alleine finden, wenn unser Führer in einer Viertelstunde nicht wieder auftauchen würde. Immerhin sei ja auch Zeit für das Mittagessen. Ich fand das gar keine gute Idee und zeigte mich entschlossen zu bleiben wo ich war, bis der Guide wieder auftauchen würde. Wahrscheinlich, so mutmaßte ich, ist er auf eine Chicha in einem Eingeborenendörfchen eingekehrt und macht mit dem Wirt gerade derbe Touristenwitze. Meine These fand allgemeinen Zuspruch und so warteten wir dann auch nicht mehr lange, bis der Bolivianer aus dem Dickicht, das den See umgab wieder auftauchte – ohne Anakonda versteht sich.

Zwar befand ich mich nicht auf Rachefeldzug für ein fehlendes Bein, aber sicherlich stand ich Kapitän Ahab in Punkto „Eifer bei der Walsuche“ in nichts nach. Einen halben Tag lang stand ich beharrlich an der Steilküste der Peninsula Valdés im Süden Argentiniens und spähte und spähte. Neben mir befand sich sogar ein Posten, indem professionelle Walbeobachter jeden Tag den ganzen, lieben, langen Tag stehen und spähen und spähen. Denn immerhin war im März, als ich dort war, Hochsaison für Orkas. Am Unterstand der Professionellen war auf einer Tafel verzeichnet, wann und in welcher Entfernung die Killerwale das letzte Mal gesichtet worden waren: Gestern, 8.15Uhr, sehr, sehr weit draußen. Ah ja. Der Tag war wunderbar, ein strahlender Himmel, unten am Strand sonnten sich die Seelöwen und –hunde, ein Piche (heißt das im Deutschen vielleicht Gürteltier? Bitte um Zuschriften!) lief ein wenig verwirrt über den Parkplatz, Möwen kreischten, das Meer war von einem unfassbar intensiven Blau und eine leichte Briese wehte von Westen. Was hätten nur ein paar Orkas am Horizont, aber gerne auch dichter, die Szenerie vervollständigt! Voll Sehnsucht ließ ich Stunde um Stunde meinen Blick über das Meer schweifen, um nicht irgendwo eine Schwanzflosse oder auch nur ein Fontänchen zu entdecken. Aber irgendwann hieß es dann doch „Abfahrt!“ und auch das Paar, das schon seit elf Tagen kam, um die Säuger zu sehen, musste wieder einmal unverrichteter Dinge mit dem Bus in die eine Stunde entfernte, einzige Siedlung der Halbinsel zurück fahren. Tja, das hat man nun davon: da entlässt man Willy und seine feinen Freunde einmal in die Freiheit und hast du nicht gesehen, hast du sie nicht mehr gesehen!
Dejá-Vu in Chile: tapfer erklimmt eine andere kleine Reisegruppe die Steilküste auf der Insel Chiloé. So kurz vor Ostern ist der Wind herbstlich, die See rau und der Himmel trägt einheitsgrau. Unten am Strand wohnen ein paar Fischer in Hütten. Sie leben hauptsächlich davon, nach Meeresfrüchten zu tauchen und verdienen sich etwas hinzu, indem sie Touristen in Nussschälchen zu einer nahe gelegenen Pinguinkolonie schippern. Auf Chiloé scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Als wir den ein wenig großspurig als „Aussichtspunkt“ titulierten Acker am Rande der Klippen erreicht hatten, begann wir zu spähen und zu spähen und zu spähen, mit Fernglas, ohne Fernglas und dann wieder mit Fernglas. Nichts, während uns der Fischer mit Geschichten über die chilotische Mythologie und seinen Alltag unterhält und ich mir denke, dass die Wale wohl schlichtweg von Millalobo, dem Herrscher des Meeres in einen anderen Teil des Archipels befohlen worden sind, um die Wasserwelt gegen die mächtige Herrscherin des Landes Ténten-Vilu zu verteidigen.

Meister Bockert hingegen, der in Deutschland, gehegt, gepflegt und geschützt wird, gilt in anderen Teilen der Erde, wie der Insel Navarino, als Plage, die alle Vegetation kurz und klein nagt, die ihm zwischen seine aparten Schneidezähne kommt. Der aus Nordamerika „eingeschleppte“ Castor Canadensis fand auf den wasser- und baumreichen Inseln Feuerlands so etwas wie ein Schlaraffenland vor, das er nun großräumig und hemmungslos verwohnt. Wer denkt, dass es da nicht weiter schwer sein wird, einen dieser Gesellen aufzutreiben, der hat weit gefehlt! Durch einen ungewollten Zufall, kam es, dass ich mich allein in die insulare Wildnis aufmachte, um auf Bibersuche zu gehen. Und Wildnis, das meint am vermeintlichen Ende der Welt, eine echte, taubmachende Wildnis. Kein kultivierter Wald, kein Parkplatz, keine Spaziergänger und der vom Regen überschwemmte, teilweise unpassierbare Weg endete irgendwann im Nichts und das Nichts wurde undurchdringlich. Mir war unheimlich, denn wer weiß, was hier außer dem Biber nicht noch alles herum kraucht und dann bestünde da noch die Möglichkeit, dass sich der Biber in diesem Paradies unbemerkt wieder zu seinem bärgroßen, urzeitlichen Vorgänger zurück evolutioniert hat. Zudem regnete es in Strömen und das Pfützenwasser kroch mir die Hosenbeine hoch. Nur ab und zu erhellten einige Sonnenstrahlen, von Regenbögen begleitet, das grüne Dickicht. Tröstlicherweise begleitete mich auf meiner Wanderung ein Hund der Militärstation, die ich am Ortsausgang von Puerto Williams passiert hatte. Ohne ihn hätte ich wohl schon nach einigen hundert Metern wieder Kehrt gemacht. Doch der Hund und ich, wir sprachen uns gegenseitig Mut zu und so drangen wir immer weiter gen Heimstätte des Nagers vor, ohne überhaupt zu wissen, wo diese Lagune genau lag. Nach gut anderthalb Stunden erreichte ich eine Anhöhe, von der aus ich sah, dass sich direkt unter mir ein Gewässer befand, das ich ohne Zweifel als Fluss identifizierte. Da mir weder das Erreichen des Ufers, noch das Überwinden des Flusses als ohne weiteres möglich erschien, schoss ich noch ein paar Fotos und machte mich auf den Rückweg. Meine Abenteuerlust war an dieser Stelle ohnehin schon voll und ganz befriedigt worden. Am Abend dann zeigte ich unserem Wirt die Fotos des Tages und er versicherte mir, dass mein „Fluss“ sehr wohl die Biberlagune gewesen sei, nicht ohne seine Verwunderung darüber zum Ausdruck zu bringen, dass ich bis dorthin alleine gegangen war. Doch selbst wenn ich gewusst hätte, dass der „Fluss“ die Lagune gewesen war, so hätte ich es bestimmt nicht über mein Herz gebracht, an diesem verlassenen Ort auszuharren, um auf die Verwandtschaft von Ratten zu warten. Aber, auch ohne Biber hatte ich meinen Spaß!

Bis zum heutigen Tage ungeklärt bleibt, ob ich einen Kondor gesehen habe oder „nur“ eine andere Geierart. Ebenfalls offen bleibt die Albatrosfrage. Ich bin mir sicher einen Albatros gesehen zu haben, während Susann der Überzeugung ist, es hätte sich „nur“ um eine sehr, sehr große Möwe gehandelt. Auch das Argument, dass eine echte Deern auf Reisen wohl eine Möwe von einem Albatros unterscheiden kann, hat sie bislang noch nicht überzeugen können. Und dann wären da noch die Tiere, die ich zwar gesehen habe, aber die sich beim besten Willen nicht fotografieren lassen wollten. Doch das ist wieder eine andere Geschichte…

Dienstag, 18. April 2006

Von einer die auszog...

Geschrieben am 17. April 2006 in Santiago (Chile):

Die Frage „Was machst du eigentlich hier in Südamerika?“ oder „Was machst Du eigentlich da drüben in Südamerika?“ veranlasst mich, an dieser Stelle noch einmal die Rahmenhandlung zu erzählen:

Am 1. September 2005 stieg ich zusammen mit meinem ASA-Projektpartner Florian in Frankfurt in ein Flugzeug, das uns mit einem Zwischenstop in Atlanta nach Lima/Peru brachte. Die nächsten beiden Wochen reisten wir gemeinsam über Ayacucho, Cuzco, Machu Pichu und Puno am Titicacasee nach La Paz (s. Tagebucheinträge bis einschließlich „3,8 km dichter am Himmel“).

In La Paz arbeiteten Florian und ich bei einer Nichtregierungsorganisation, die hauptsächlich politische Aufklärungsarbeit im Bereich Gesundheit und Menschenrechte leistet. Für dieses dreimonatige Projekt sind wir von der deutschen Organisation ASA ausgesucht worden und hatten uns auf den beiden je einwöchigen Vorbereitungsseminaren kennen gelernt. In La Paz entwickelten wir Informationsmaterial, organisierten und leiteten einen Workshop mit Jugendlichen und beteiligten uns an der laufenden Arbeit der bolivianischen Organisation. Eine Zahnoperation mit vorhergegangener, wochenlanger Wurzelbehandlung ließ mich auch ganz persönliche Erfahrungen mit dem bolivianischen Gesundheitssystem sammeln. Allerdings gilt hier ebenso: mit Geld ist die beste Behandlung, die gleichzeitig die beste Zahnbehandlung war, die mir je zuteil kam, zu haben. Trotz Arbeit und Krankheit blieb mir noch ausreichend Zeit um Land und Leute zu erkunden (s. Einträge „Se busca departamento“, „Alltag“, „Bolivia“ und „Workshop“).

Mitte Dezember dann, war meine Zeit in Bolivien beendet und auch Florian flog zurück nach Deutschland. Über die Grenze mit Peru reiste ich nun, zunächst allein, nach Chile ein. Ein paar Tage verbrachte ich in Arica, um dann eine Woche lang in Iquique zum Surfen hängen zu bleiben. In Windeseile besuchte ich noch die Kupfermiene Cuquicamata und das Dörfchen San Pedro in der Atacamawüste, bevor mich eine 24-stündige Busfahrt kurz vor Weihnachten in die versmogte 5-Millionen-Stadt Santiago de Chile brachte. Hier wohnte ich insgesamt zwei Monate bei Susann und Claudia. Die beiden arbeiten ebenfalls in einem ASA-Projekt; als Physio- und Ergotherapeutinnen in einem Armenviertel, in dem wir auch lebten. Diese zwei Monate in der „Fünften Schönen“ waren unterbrochen von Sylvester in Valparaiso und meinem Aufenthalt in dem Küstenort Pichilemu, wo ich aufgrund einer Entzündung im Oberschenkel, die ich mir nach einer knappen Woche zugezogen hatte, alle sechs Stunden im örtlichen Krankenhaus ambulant behandelt werden musste. Als ich nach beinahe drei Wochen immer noch medizinischer Betreuung bedürftig war (aber nicht mehr ganz so häufig) und klar war, dass ich zunächst meine Reise nicht würde fortsetzen können, kehrte ich zu Susann, Claudia und zu unserer chilenischen Vermieterin Gabi nach Santiago zurück. Von dort aus brach ich am 10. Februar, gemeinsam mit Susann, zu unserer über vierwöchigen Reise nach Patagonien auf. Unsere Stationen: Puerto Montt, mit dem Schiff durch die chilenischen Fjorde nach Puerto Natales, Punta Arenas, Ushuaia, Puerto Williams, Calafate, Penisula Valdés, Esquel, Bariloche, Mendoza und zurück nach Santiago. Dort angekommen war und bin ich nach wie vor, sehr zufrieden damit, mich der Sesshaftigkeit hinzugeben, die die letzten zwei Wochen nur von einem Abstecher in die Seenregion mit meiner Mutter, unterbrochen wurde. Jetzt lebe ich in einer sehr netten WG in einem guten und zentral gelegenen Viertel, zusammen mit einer finnischen Studentin und einem chilenischen Informatiker, der mir gemeinsam mit seinem Bruder, einem Architekten, geduldig alle meine Fragen zu Chile beantwortet (siehe alle übrigen und noch folgenden Einträge).

Am 1. Mai dann, wird mein zweimonatiges Praktikum im Goethe-Institut beginnen. Dort werde ich sowohl in der Pressestelle, als auch in der Programmabteilung, die den Austausch von Künstlern organisiert, mitarbeiten. Am 10. Juli 2006 werde ich dann voraussichtlich wieder in Hamburg sein. So wie ich es jetzt beurteile, mit mindestens anderthalb weinenden Augen.

P.S.: Alle älteren Einträge sind über die Leiste "Previous Post" auf der rechten Seite zu erreichen. Um einen noch älteren Eintrag, als den letzten angezeigten zu sehen, einfach auf diesen letzten klicken und die vorangegangenen erscheinen. Da ich mit meiner Seite umgezogen bin, um das Layout zu wechseln, stimmt die zeitliche Einordnung im Archiv leider nicht mehr.

Dienstag, 4. April 2006

Das Ende der Welt

Geschrieben am 20. März 2005 in Santiago (Chile):

Das Ende der Welt, darüber ist man sich einig, das ist Kap Hoorn. Die mystische Anziehungskraft der Insel ist so groß, dass auf einer Party inmitten der patagonischen Fjorde, als sich zu fortgeschrittener Stunde herumgesprochen hatte, dass es mein erklärtes Ziel sei dorthin zu gelangen, mit einmal alle den gleichen Plan hegten: Kap Hoorn, der Inselzipfel am Ende der Welt, auf ihm nichts weiter als ein Monument und ein Leuchtturm, bewohnt von einer dreiköpfigen Familie, in ihrem Heim ein Postämtchen, die Postkarte vom Ende der Welt, geheimnisumwobener Felsen und Schiffsfriedhof, Ringkampfarena der südlichen Ozeane, angefeuert von den Seelen zahlloser Seefahrer, die dort ihr Leben ließen, bis zum Südpol nichts als Meer und ewiges Eis, eines der großen Abenteuer dieser Erde und mein Traum! Nun, am nächsten Morgen freilich, reduzierte sich die Zahl der abenteuerlustigen Seefahrer dann wieder auf drei Personen, nämlich Susann, Corinne die schweizerische Weltreisende, die sich uns anschloss und mich. Aber – wie gelangt man eigentlich ans Ende der Welt? Sicher war nur, dass es keine Butterfahrt und auch kein gemächlicher Tagesausflug werden würde, denn in den meisten Reiseführern findet der Weg zum Kap keine Erwähnung und wenn doch, so liest man lediglich: „Ab Ushuaia gibt es die Möglichkeit eine Yacht zu chartern." Eine Yacht chartern? Das geht doch bestimmt auch günstiger, dachten wir uns und machten uns auf nach Ushuaia.

Ushuaia ist ein luxuriöses, malerisches Touristenstädtchen, so etwas wie das Kampen Argentiniens, wo wir uns sogleich auf die Suche begaben, zunächst ins Reisebüro. Kap Hoorn? Ja sicher gäbe es da etwas. Eine viertägige Kreuzfahrt auf der „Stella Maris" zu einem ganz günstigen Lastminute-Preis. Unsere Gesichter strahlten hoffnungsfroh um die Wette, jedoch nur, um sogleich einzufrieren: umgerechnet nur 1000,- Euro pro Person. Tja, danke schön und auf Wiedersehen! Unserer nächster Versuch dann war die Hafenmole, an der einige größere und kleinere Ausflugsboote lagen. Kap Hoorn? Nein, bis dahin sei man ja mindestens drei Tage unterwegs! Aber weiter unten am Yachthafen, dort könnten wir nachfragen. Also doch der Yachthafen, ich fühlte mich eindeutig underdressed, ordnete mein Haar und scherzte noch, dass ich für einen Besuch im Yachthafen aber erst mal meine sportlich-feminine Linie hervorzaubern müsste. Wenn ich wüsste! Doch erst einmal es ging zum Yachthafen, wo wir auf einen netten Herren trafen, der ein paar Telefonate führte und uns dann freudestrahlend seinen Erfolg verkündete: für nur 1200,- Euro pro Person könnten wir bereits übermorgen auf einen einwöchigen Segeltörn nach Kap Hoorn gehen. Und gäbe es da auch noch eine günstigere Variante? Nein, davon wüsste er nichts, aber auf dem Steg dort sollten wir es doch mal probieren. Und tatsächlich, ein junger und ganz bodenständig wirkender Yachtbesitzer gab uns zwei Telefonnummern: Lolo und Luis sollten wir anrufen, die würden in den nächsten Tagen zum Kap auslaufen. Voll Euphorie rannten wir ins nächste Callcenter!Lolos Nummer gewählt, Lolo antwortet, Lolo unser Anliegen vorgetragen.
„1500,- U.S. Dollar pro Person", sagte Lolo. Macht nichts, blieb ja immer noch Luis.
Und was sagte der?
„1500,- U.S.Dollar pro Person."
„Unmöglich", sagte ich. „Wir sind doch Studenten, kennen Sie nicht noch eine günstigere Möglichkeit?"
„Naja", erwiederte Luis. „In welchem Hotel wohnst Du denn, wir treffen uns dann dort."
Ich verstehe nicht ganz: „Und dann wissen Sie mehr oder wie?"
„Ja genau", schnurrte Luis. „Dann sehen wir mal welche günstigen Möglichkeiten es so gibt."
Moment, stutzte ich, günstige Möglichkeit im Hotel? Nein danke! Abenteuerlust muss auch Grenzen haben.

Ein wenig angewidert und ernüchtert verlassen wir am nächsten Morgen Ushuaia, um im benachbarten, chilenischen Puerto Williams noch einmal unser Glück zu suchen. Puerto Williams ist ein kleines, unschuldiges 2300 Seelen-Dörfchen auf der Insel Navarino, mit höchstwahrscheinlich nicht mehr als 15-20 Touristen. Keine Reisebüros, keine Hafenmole, kein Yachthafen und außer ein paar Häuschen, die mit gemütlichen Holzöfen beheizt werden, drei winzigen Tante-Emma-Läden und einer Militärbasis nichts weiter als unberührter Natur: Berge, Wälder, Flüsse, Lagunen, Wasserfälle, der Bieber und eine gespenstische Stille. Jeder Spaziergang außerhalb des Örtchens gerät zum Abenteuer. Die Menschen sind offen und scheinen sich über jede Abwechslung zu freuen. Wer nicht beim Militär ist, der lebt hier vom Fischfang. Fischerboote! Die Erfüllung meines Traums vom romantischen Seemannsabenteuer zum Ende der Welt schien zum Greifen nah zu sein. Kap Hoorn…ja…im Januar, wenn sich das Fischen nicht lohnt, da würde man immer mal wieder einen Fischer finden, der bereit sei zum Kap zu fahren. Aber jetzt im Februar seien alle auf See, aussichtslos.

So ist für auf dieser Reise das Ende der Welt in Puerto Williams, der südlichsten Stadt der Welt, erreicht und diese Rolle hat es bestens erfüllt. Aber mein Traum vom Kap Hoorn, der bleibt!

Montag, 3. April 2006

Eis

Geschrieben am 9. März in Puerto Pirámides (Argentinien):

Eis hat viele Farben, die innerhalb des Spektrums von strahlend weiß, das bei Sonne in den Augen sticht, bis hin zu dunkelblau variieren. Eis, in der Größenordnung und gewaltigen Schönheit der Gletscher des südpatagonischen Eisfeldes, das 350km lang ist, deren Oberfläche 13.000km² mißt und zusammen mit dem nordpatagonischen Eisfeld, nach der Antarktis und Grönland die drittgrößte Eismasse der Welt ist, ist faszinierend.

Der Wind bläßt scharf, der Himmel ist von einem bedrohlichen Grau und immer wieder regnet es, als die "Puerto Eden" auf ihrer Reise durch die chilenischen Fjorde eine Landzunge umschifft, die bis dahin den Blick auf den Gletscher Pio XI. verborgen hatte. Der Augenblick ist erhebend, mystisch, die Maschinen wurden abgestellt und in feierlicher Stille bestaunen alle das eiszeitliche Relikt, deren Zungenspitze sich vor uns erstreckt. Unser Schiff gibt immer wieder tutende Grußsalven von sich, die der Gletscher mit einem Echo aus dem Mark seiner Einsamkeit erwiedert. Nach einer Weile bahnen sich, einer Gotteserfahrung gleich, einige Sonnenstrahlen ihren Weg durch die dicke Wolkendecke und Pio XI. wird zur Bühne eines majestätischen Schauspiels von Licht und Schatten. Zwischen den Bergen zu unserer Rechten steigt ein Regenbogen auf.

Die riesigen Zacken des argentinischen Perito Morenos dagegen heben sich scharf und kalt gegen den strahlend blauen Himmel oder die dunklen, bewaldeten Berge ab. Es ist warm, beinahe T-Shirt-Wetter, denn der Gletscher liegt auf nur 185m Höhe und es ist Sommer, der selbst in Patagonien sehr warm werden kann. Perito Morno ist gesund. Tag für Tag wächst er einige Zentimeter, bis er, so scherzt unser Führer, die Erde umrundet haben wird. Seine Einzigartigkeit besteht darin, dass er 1947 den "Canal de los Tempanos", Teil des Sees "Argentino", überschritt und die Halbinsel "Magallanes" erreichte. So ist der Gletscher heute ein natürlicher Deich, der den See in zwei Hälften teilt und deren Wasserpegel Höhenunterschiede bis zu 20m erreichen. Alle drei bis vier Jahre entlädt sich dieser Druck, indem der Gletscher an dieser Stelle bricht. Der Anblick des wachsenden Gletschers ist gigantisch: Von der Halbinsel aus beobachten wir die 5km lange Front, von der immer wieder riesiege Eisblöcke, von einem ohrenbetäubenden Knall begleitet, abbrechen und bis zu 60m in die Tiefe stürzen, auf der Wasseroberfläche aufprallen und zur Eisscholle werden. Bei diesem Spektakel ist es kaum zu glauben, dass wir auf dem gegenüberliegenden Naturwunder eine Wanderung unternehmen sollen. Doch tatsächlich bringt uns ein Boot entlang der nördlichen Gletscherseite ans andere Seeufer. Noch eine gute halbe Stunde wandern wir durch einen Wald, bis wir den Rand des Gletschers erreichen, wo uns Steigeisen und Handschuhe angezogen werden. Über eine kleine Brücke, unter der das Schmelzwasser in Richtung See abfließt, steigen wir auf den Gletscher. Die Führer geben uns noch eine kurze Lektion in "Gebrauch von Steigeisen und Sicherheit im Gletscher" und dann geht es auch schon hinein in das Gebirge aus messerscharfen Eisspitzen, deren Kanten Finger kappen können. Nach einer kurzen Gewöhnungsphase fühle ich mich mit den Steigeisen wie Spiderman: nie gerate ich ins Rutschen, wo auch ich auch hintrete! Immer wieder passieren wir tiefe, mit Wasser gefüllte Gletscherspalten, deren Farbintensivität sich selbst der kreativste Designer nicht hätte erdenken können. Berauscht von Form und Farbe durchlaufen wir in zwei Stunden einen Teil des Gletscher, der in etwa einem Schokostreusel auf einer großen Portion Zitroneneis entspricht oder einem einzigen Eiskristall auf dem frisch geschlagenen Eis in meinem Glas mit "Whiskey on the Rocks", der uns zur allgemeinen Überraschung mitten im Gletscher serviert wurde. So wurde Eis schlußendlich doch wieder zu dem relativiert, was es für mich bis dato immer bedeutet hatte.

Nachtrag am 13.3.2006 in San Carlos de Bariloche:
"Man kann nie wissen, wann der Deich brechen wird", erklaerte die Reiseleiterin. "Heute, morgen, naechsten Monat oder in einem Jahr.".
Seit fuenf Stunden uebertraegt das argentinische Fernsehen live den Zusammenbruch des Gletscherdeichs. Was fuer ein Spektakel!

Perlusa

Geschrieben am 07. März 2006 in Puerto Pirámides (Argentinien):

Wie zu erwarten war, wimmelt es auf meinem Weg vor Straßenhunden. Oder um ein Lehrerehepaar, das auf einer zwölfstuendigen Busreise einmal vor uns saß zu zitieren:
"Ach! Hier gibt es ja also wirklich viele Hunde!"
"Ja genau! Da könnte man doch glatt ein Hundebuch schreiben (mit verstellter Stimme): `Also ich gehe jetzt in die Stadt. Ist mir doch egal was die anderen machen…´".

Susann und ich warten an der Hafenmole von Ushuaia auf unsere schweizer Mitreisende. Als ich einen Apfel aus einer laut raschelnden Plastiktüte hole, steckt auch sofort eine Hundenase darin. Eigentlich füttere ich keine Hunde, aber da mir diese Schnauze doch so sympathisch und mir langweilig war, biete ich Apfel an. Nach kurzem Beschnuppern wird der Apfel, da wohl weniger appetitlich, links liegen gelassen. Mein guter Wille wird aber sofort mit der Hundeschnauze auf meinem Schoß und einem Blick, der Gletscher schmelzen könnte, gewürdigt. Eine Familie setzt sich neben uns und beginnt nach einer Weile den Hund mit echten Leckereien (Wurstbrötchen!) zu versorgen. Zu meinem Erstaunen aber, wird die Kinderschar mit den Delikatessen in den Händen plötzlich uninteressant, als wir aufstehen und losgehen. Die Hundedame folgt, setzt sich brav, wenn wir stehenbleiben, um einen Augenblick lang die Aussicht zu genießen (angeberisch rufe ich dann: "Sitz!") und wartet sogar – ganz wohlerzogener Hund – vor allen Geschäften auf uns.

Ganz offensichtlich zeigt sich der Vierbeiner von seiner besten Seite. Sie sucht Anschluß. Und so süß! Gibt es nicht eine Möglichkeit sie mitzunehmen? Nein, Busfahren, Schifffahren, Hostals und all das, das geht nicht. "Wäre das jetzt schön, wenn wir herausfinden würden, dass sie einen Besitzer hat", wirft Susann in unsere Bemühungen ein, unser Herz nicht weiter den Hund zu verlieren.

Als zwei fesche Rüden unseren Weg kreuzen, waren diese dann doch attraktiver als wir Menschen und der junge Hüpfer macht uns den Abschied leicht und jagt davon.

Nach einem ereignisreichen Tag kehren wir in unser Hostal zurück. "Guck mal!", ruft Susann und, es ist kaum zu glauben, liegt dort nach einem ereignisreichen Tag zufrieden schlafend unsere Freundin im Flur! Es gibt ein großes Hallo: Ja, sie gehöre dem Rezeptionisten und heiße Perlusa. Na sicher wüßte der, dass Perlusa den ganzen Tag im Zentrum war. Das mache sie immer, liefe den Touristen hinterher. Ein wenig verrückt sei sie halt.

Am nächsten Morgen brechen wir auf. Perlusa leistet uns noch beim Frühstück Gesellschaft und geleitet uns bis zur Hafenmole, an der unser Schiff nach Puerto Navarino ablegen wird. Dann kreuzen zwei fesche Rüden Perlusas Weg und sie jagt davon.


Ende gut, alles gut!