Freitag, 11. Juli 2008

Holidaylandia

Geschrieben am 11. Juli 2008 in Hamburg (Deutschland):

Künstlich bescheint das Neonlicht die Inneneinrichtung des Nagelstudios nebst neongelb gekleideter Nageldesignerin. Ich bin in der Türkei.


Was mache ich hier eigentlich? Keine Ahnung. Das türkische Radio lässt eine gefühlvolle Coverversion von Come As You Are durch den abendlichen Salon erschallen:„…and I swear that I don´t have a gun…“. Das Lied passt nicht hier her und ich auch nicht.
Doch der Ort, an den ich nie gehen würde, muss erst noch erfunden werden und so sind meine alte Schulfreundin Larissa und ich den rudicarellesken Rufen unserer niederländischen Hotelgenossin gefolgt:


„Schaut määl meine neue Näigel. Soho schönn uund güünstich!“
Neue Nägel… warum nicht?


Extreme Lebenssituationen erfordern extreme Maßnahmen. So – und nur so – ist es zu erklären und zu rechtfertigen, dass ich mich eines Morgens in einer Ferienkonserve der TUI Fly wieder fand.


Mittwochmittag erkannt, dass nur ein spontaner Kurztrip in die Sonne meine missliche Lage retten kann und schon vierzehn Stunden später machten Larissa und ich uns auf den Weg zum Flughafen. Alles besser als zu Hause bleiben. Und wohin verschlägt es den kleinen Pauschaltouristen, wenn er die Koordinaten Schnell + Sonne + Günstig + Alles-andere-egal verbindet? Nach Alanya, dem orientalischen Schwippschwager El Arenals!


Alanya. Was soll ich sagen? Alanya ist kein kleiner malerischer Küstenort, wie der Beiname der Region „türkische Riviera“ fälschlicherweise vermuten lassen könnte, sondern eine Stadt mit knapp 400.000 Einwohnern. Eigentlich kein besonderer Ort, hätte nicht ein Stadtteil eine Art touristische Eigendynamik entwickelt, die kurz und knapp wie folgt charakterisiert werden kann: Erstens, man spricht Deutsch. Zweitens, es gibt von Gucci über Adidas bis hin zu Jack Wolfskin keine Marke die nicht gefälscht und in Alanyas Tourighetto feilgeboten würde. Und drittens, wer als Tourist in türkischer Lira statt in Euro zahlt, fällt auf.
Entsprechend, das Publikum. Gerade noch dem ALG II entflohen, verwirklichen sich Uschi, Kalle, Kevin und Chantalle einen Urlaubstraum mit internationalem Flair.


Quasi Jetset. Denn auf Türkei, da ist man wer! Da ist der stolze Euro so gefragt, dass man sich allen Luxus leisten kann. Wunschlos glücklich quasi: hier eine Handtasche von Prada, dort die Gucci-Brille und ein wenig später dann vielleicht noch einen neuen Puma-Dress.


Alles kein Problem! Und so sieht man auf den Straßen von Alanyas Holidaylandia mehr als einen Castrop-Rauxeler Paris-Hilton-Verschnitt durch die tristen Bettenburgenschluchten flanieren.

Doch wir finden auch ein anderes, türkisches Alanya: „Zu Fuß zur Burg hinauf laufen?“, man schaut uns an, als hätten wir gefragt, ob der Papst zum Islam konvertiert wäre. Nein, das sei viel zu weit. Zu weit? Können wir nicht finden und so stapfen wir los. In Flipflops durch die kleine Altstadt, den Hang hinauf zur Burg.


Der Weg ist nicht weit, sondern lohnenswert. Hierher kommen keine Touristen. Immer ein wundervoller Blick über die Bucht, alte windschiefe Häuser, die über den Klippen zu schweben scheinen. Ursprüngliche Idylle.


Ein leicht verrückter Belgier mit Migrationshintergrund befreit den steinigen Vorgarten seines Sommerhauses von Unkraut. Wir lernen Hamide kennen, die in ihrer Küche steht und kocht, Bauarbeiter und eine kurdische Familie, die ein Ausflugslokal für die einheimischen Familien betreibt. Der siebenjährige Sohn ist genant und fürchtet sich vor den beiden Fremden ohne Kopftuch.
Am Abend nimmt uns eine größere Gruppe von Angestellten unseres Hotels mit in eine schummerige Bar. Larissa und ich sind die einzigen Nichttürken dort. Eine Sängerin im kleinsten, hautengen Schwarzen singt, begleitet von einer kleinen Band, türkische Schlager.


Sie handeln von der Liebe, dem Meer oder Istanbul, wie uns unsere Rezeptionistin übersetzt. Alle singen mit, nur die beiden Christinnen nicht. Ich mag türkischen Schlager.
„Whoppa! Whoppa! Party-Hopper!“, erschlägt uns der grellbunte Diskotheken-Ballermann, als wir später aus der Bar wieder ins Freie treten und holt uns unsanft in die Realität zurück. Fast hätte ich gedacht, ich sei im Urlaub: „Whoppa, whoppa!“ und auf dem Rückweg schnell noch ein Paar Manolo Blahniks geshoppt.
Und was hilft gegen diesen Instanturlaubswahnsinn? Nur die Flucht nach vorne, unten! Mit dem Boot hinaus aufs Meer, Tauschschein machen.


Grandios! Ich habe ein neues Hobby und doch noch eine lohnenswerte Reise gemacht.
Und auf dem Meeresgrund, da liegen ein paar künstliche Fingernägel.